Blaue Keramik
Ich mag Kaktusse, hatte sie gesagt.
Er hatte sie nicht korrigiert. Das tut er nie. Er bewundert seine kleine Schwester. Sie ist ein kluges Mädchen, findet er, dabei unerschütterlich in ihrem Glauben, dass alles immer wieder gut wird.
Er ist gerne mit ihr zusammen. Sie geht ihm nie auf die Nerven. Zuhause haben sie zwei nebeneinander liegende Zimmer. Sie wehrt sich gegen den Ausdruck „Kinderzimmer“. Er kann ihr stundenlang zuhören, wenn sie nebenan auf ihrem Bett hockt und laut aus einem ihrer Lieblingsbücher vorliest. Sie liest viel, aber nie leise. Er weiß, dass sie dabei gerne ihr Kopfkissen im Arm hat. Zwischendurch hört man dann nichts mehr. Dann denkt sie nach und schaut dabei aus dem Fenster. Seine kleine Schwester denkt sehr viel nach.
Am Morgen waren sie gemeinsam zur Schule gegangen.
Neben ihm wippten ihre Zöpfe hin und her, ihr Turnbeutel baumelte an ihrem Handgelenk, ihren sperrigen, schaukelnden Rucksack hatte sie über die schmale Schulter geworfen.
Sie mag keine Tornister.
Es ist ziemlich viel Bewegung an ihr, hatte er gedacht.
Und dann das.
Ich mag Kaktusse, hatte sie gesagt. Mehr zu sich selbst.
Er hatte nicht geantwortet, nur genickt. Er weiß, dass sie gerade ihr Zimmer umgestaltet. Alle Stofftiere, Kalender, Plakate, Puppen raus. Bloß keine Bettwäsche mit Teddies. Er hatte sie gestern einen Nachmittag lang hinter geschlossener Tür rumpeln hören. Jetzt steht ihr Bett direkt vor dem Fenster. Auf die breite Fensterbank gehört nun ein dicker, runder Kaktus, da ist er ganz ihrer Meinung.
Jetzt steht er im Gartencenter vor einem Kaktus. Er ist dick, rund, groß, stachelig. Aber teuer. Sehr teuer. Zu teuer. So viel Geld hat er nicht dabei. Er zählt nochmal nach. Es reicht nicht. Er hasst sich dafür, dass er nicht mehr Geld hat.
An der Kasse wartet eine lange Reihe Menschen. Die junge Kassiererin ist hektisch, sie kennt den Preis eines kleinen blauen Keramiktopfes nicht. Sie ruft fragend zu einer Kollegin hinüber. Alle warten, dass es weitergeht. 8,99, kommt nach einer Weile die Antwort. Schnell tippt die Kassiererin den Preis ein. Sie vertippt sich, korrigiert.
Er stellt sich zunächst hinten an, schaut die Reihe entlang nach vorn. Die Frau vor ihm wendet sich um und betrachtet ihn kurz.
Bestimmt wundert sie sich, dass ich nichts kaufen will.
Er geht seitlich an der langen Reihe vorbei und fragt vorn die Kassiererin: Entschuldigen Sie, können Sie mir hier bitte die Schranke öffnen, ich möchte nichts kaufen.
Du kannst doch ganz einfach auf dieser Seite vorbeigehen, sagt sie ungeduldig, nervös, aber mit einem kurzen Lächeln zum nächsten Kunden. Was ist dieser Junge umständlich, will sie damit sagen.
Er geht zurück, jetzt lächeln mehrere Menschen in der Reihe.
Sie lächeln ihn aus.
Er zieht den Reißverschluss seiner Jacke hoch und geht im Slalom durch die Reihe der wartenden Menschen hindurch.
Er schaut niemanden an.
Draußen atmet er aus und nimmt die Fäuste aus den Taschen.
Das Wetter ist schön. Kalt, sonnig, etwas windig. Wie am Meer. Sein Gesicht fühlt sich aber immer noch heiß an. Er geht zu Fuß nach Hause, ihm ist jetzt nicht nach Busfahren.
Zuhause kommt ihm seine Schwester im Flur entgegen.
Ich will für meine Fensterbank einen kleinen Gliederkaktus mit vielen Blüten kaufen, sagt sie. Mom hat mir Geld gegeben.
Er sagt immer Mama, aber ihr gefällt Mom besser.
Klingt cool, sagt sie gern.
Sie fahren zusammen mit dem Bus ins Gartencenter. Seine Schwester findet einen kleinen Gliederkaktus mit vielen rosa Blüten. Er sucht mit ihr einen Übertopf aus. Sie sagt, er solle blau sein.
Er nimmt einen korrekt ausgezeichneten blauen Keramiktopf in der passenden Größe aus dem Regal und bezahlt ihn an der Kasse von seinem Taschengeld.
von Maria